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Inhalt

57. Editorial
Billy Sperlich

Wissenschaft

62.Hochintensives Intervalltraining (HIIT) und Typ-2-Diabetes mellitus?
Christian Brinkmann

66. Hochintensives Intervalltraining in der Sporttherapie von übergewichtigen und adipösen Jugendlichen – ein Überblicksartikel
Florian A. Engel, Jannik Oestreich, Lars Donath, Philipp Kunz, Billy Sperlich

79. Psychologische Aspekte von Hochintensivem Intervalltraining (HIIT) in der Therapie: Eine Übersicht der Literatur
Jens Kleinert, Manuel Bassek

88. Auswirkungen sportlicher Aktivitäten bei Kindern mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) unter besonderer Betrachtung von Hochintensivem Intervalltraining als innovativen, therapeutischen Ansatz
Carolin Friederike Meßler

Praxis

93. Definition und Steuergrößen von (Hoch-)intensivem Intervalltraining in Bewegungstherapie & Gesundheitssport
Christoph Zinner, Billy Sperlich

100. Die praktische Implementierung von Hochintensivem Intervalltraining (HIIT) in sporttherapeutischen Maßnahmen bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Carolin Friederike Meßler

105. Hoch-intensives Intervalltraining in der onkologischen Rehabilitation – Erfahrungen aus der Therapiepraxis
Joachim Schmitt

Journal Club

110. Periodisiertes Heimtraining: eine neue Strategie, die Adhärenz zu hochintensiver Bewegungstherapie bei Personen mit milder Multipler Sklerose zu verbessern
Alexander Tallner

111 Veranstaltungen

Recht

112. Recht im Reha-Sport
Manfred Beden

Neues aus der dvs

114. Promotionsverbund „Individual Response to Physical Activity (iReAct) – A Transdisciplinary Approach“ in Tübingen gestartet

Neues von peb

116. Bewegte Kita – Qualitätsentwicklung mit der Kita-Check-App

117. Forum der Industrie

119. DVGS News

120. Impressum

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

sehr gerne war ich bereit, ein Themenheft zu (Hoch-)intensivem Intervalltraining (HIIT) zu konzipieren und unterschiedliche Facetten dieser aktuell sehr populären Trainingsform auf körperliche und kognitive Leistungs- und Gesundheitsmarker bei unterschiedlichen Indikationen zu diskutieren.

HIIT gehört nunmehr seit Jahren zu den Top 3 der Rangliste bestehender Fitnesstrends [1, 2].

Aus meiner Sicht trugen 3 wesentliche Arbeiten zur exponenziellen Forschungs- und Anwendungsdynamik bei (▶Abb. 1):

  1. Die populäre und vielzitierte Veröffentlichung von Izumi Tabata [3] zum Vergleich von moderat-intensivem Ausdauertraining (60 min / Trainingseinheit bei 70 % der maximalen Sauerstoffaufnahme, % Trainingseinheiten / Woche) im Vergleich zu intensivem Intervalltraining (5 Einheiten / Woche über 6 Wochen; 7–8 x 20 s bei 170 % der Leistung bei maximaler Sauerstoffaufnahme; 10 s Pause) war sicherlich ein wesentlicher Anstoß zu weiteren Untersuchungen zu HIIT im Gesundheits- und Leistungssport;
  2. der im leistungssportlichen Kontext veröffentlichte Artikel von Veronique Billat aus dem Jahr 2001 [4] zum evidenzbasierten Nutzen von Intervalltraining für Mittel- und Langstreckenläufer und
  3. eine von mehreren molekularbiologischen Trainingsstudien [5], die zeigte, dass intensives Intervalltraining (6 Einheiten in 2 Wochen; 4–6 x 30 s Radintervallsprints mit ca. 700 Watt; Gesamttrainingszeit in 2 Wochen: 135 Minuten) im Vergleich zu 6 Einheiten „Grundlagenausdauertraining“ (65 % der maximalen Sauerstoffaufnahme; Gesamttrainingszeit in 2 Wochen: 10,5 Stunden) in deutlich kürzerer Zeit pro Trainingseinheit ähnliche zelluläre aerobe und anaerobe Stoffwechselanpassungen induzierte

Die deutliche Zeiteffizienz wird bis heute als einer der wesentlichen Vorteile von HIIT im Vergleich zu niedrig-intensivem Ausdauertraining angesehen und erklärt vor allem im gesundheitlich-therapeutischen die enorme Experimentierfreudigkeit mit unterschiedlichen HIIT-Varianten.

In diesem Editorial möchte ich 3 Gesichtspunkte zum HIIT-Training aufgreifen, die sich letztlich auch in der Auswahl der Themen dieser Beitragsreihe widerspiegeln: 1. Denomination, 2. bestehende Forschungslücken sowie 3. Denkanstöße zu aktuell praktizierten Studiendesigns hinsichtlich der Responserate auf die Ausdauerleistungsfähigkeit.

Denomination „HIIT“

Das trainingspraktisch Interessante am intensivem (wie auch extensivem) Intervalltraining ist, dass sich mit der Kombination aus Intensität (während des Intervalls sowie in Intervallpause), Intervall- und Pausendauer sowie Serienanzahl und -pause eine schier endlose Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten an individuell skalierbaren (sub)maximalen Belastungsreizen konzipieren lässt.

Leider wird in der populären und wissenschaftlichen Literatur HIIT als Sammelbegriff unterschiedlicher mehr oder weniger intensiver Intervalltrainingsformen zusammengefasst. Zunächst ist HIIT eine relativ intensive, aber dennoch submaximale körperliche Anstrengung, die je nach Trainingsgerät, Indikation und Muskelgruppe mehr als 80 % der maximalen Herzfrequenz zur Sauerstoffversorgung der Antriebsmuskulatur benötigt und mit entsprechenden eher unvollständigen Pausenzeiten intervallartig durchgeführt wird. HIIT sollte vom deutlich intensiveren Sprint-Intervalltraining (SIT), bei dem es um maximale „all-out“ Belastungen handelt unterschieden werden [6, 7].

Auch ist HIIT nicht gleich HIT. Bei „HIT“ (High-Intensity (Resistance) Training) handelt es sich um eine Krafttraining- / Bodybuildingmethode, bei der es um Steigerung der Proteinsynthese und nicht um Ausdauertraining geht [8]. Weiterhin gibt es Mischformen von mehrgelenkigem „funktionalem“ Krafttraining und intensiven Ausdauertrainingselementen in Form von Intervallen als Zirkeltraining („Functional HIIT“) [9, 10]. Aufgrund der Fülle der zahlreichen Varianten, zur Klärung der Systematik und Intensitäten sowie zur Steuerung war es naheliegend, in dieser Beitragsreihe durch Zinner & Sperlich (S. 93) einen ersten groben Überblick über HIITKlassifikationen und Steuerungsvariablen zu bekommen.

HIIT zu Verbesserung wesentlicher Gesundheitsmarker von lebensstilinduzierter kardiometabolischer Erkrankung, sind gut dokumentiert, und wesentliche Kontraindikationen sind umfassend beschrieben [11]. Die Beiträge von Brinkmann (S. 62), Meßler (S. 88) und Engel et al. (S. 66) beleuchten im Detail den aktuellen Wissensstand zur Wirkung unterschiedlicher HIIT-Formen bei Patienten mit Diabetes mellitus, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung sowie Übergewicht. Ausgewählte Praxisbeiträge zu HIIT bei Krebserkrankungen sowie Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung verdeutlichen anschaulich die Anwendbarkeit von HIIT in der Praxis der Bewegungs- und Sporttherapie (S. 100, S. 105).

Forschungslücke

Meine Erfahrungen mit HIIT-Varianten in verschieden Settings und Populationen hat gezeigt, dass es insbesondere hinsichtlich der Compliance, Motivation, Erholtheit und Lebensqualität infolge von HIIT erhebliche interpersonelle Unterschiede und immensen Forschungsbedarf gibt. Unter anderem könnte ein erhöhtes Schmerzempfinden im Zuge von HIIT [10] einen langfristigen Therapieerfolg verhindern. Es gibt durchaus lebhafte Diskussion, ob HIIT für eine weitgehend sesshafte Bevölkerung ungeeignet sei [12], insbesondere weil HIIT eine hohe Motivationslage vor allem bei längerfristigem Training voraussetzt [13]. Der Einfluss von HIIT auf psycho-soziale Faktoren ist bei weitem nicht so stark erforscht wie die Physiologie. In diesem Kontext beleuchtet der Beitrag von Kleinert und Bassek (S. 79), wie sich HIIT bei unterschiedlichen Indikationen auf bestimmte psychologische Faktoren auswirkt.

Studiendesign

Meist sind HIIT-Studien eindimensional konzipiert mit 1. einer mehr oder weniger festgelegten Anzahl an Trainingseinheiten pro Woche, 2. einer doch recht ungenauen Definition des Trainingsreizes (z. B. x % der maximalen Herzfrequenz), 3. Beobachtungszeiträumen von 2 Wochen bis wenigen Monaten, 4. einfacher Progression ohne Periodisierung und 5. einem quasi-experimentellen Versuchsplan ohne Cross-Over-Design als Studiendesign.

Häufig werden Trainingsstudien als Zwischengruppenvergleich mit / ohne Kontrollgruppe konzipiert, d. h. die Trainingsresponse von Gruppe A wird mit Gruppe B verglichen (meist ohne randomisierte Zuordnung). Leider fehlen bei vielen HIIT-Untersuchungen randomisiert-kontrollierte und im Cross-over-Design geplante Versuchsaufbauten, bei der wichtige Störvariablen reduziert werden können. Aus der Erfahrung eigener Trainingsstudien (mit quasi-experimentell randomisiertem Versuchsaufbau und Kontrollgruppen) [10, 14–19] zu HIIT ergibt sich je nach Anzahl der Trainingseinheiten, Indikation und Population eine durchschnittliche Responserate von ca. +1,1% der maximalen Sauerstoffaufnahme pro Woche (bei 2–5 Trainingseinheiten pro Woche) (▶Abb. 2).

▶Abb. 2 zeigt, dass die Responseraten bzgl. der Veränderung der Sauerstoffaufnahme in Bezug zu HIIT, von niedrig-intensivem Ausdauertraining oder einem Mix aus aerobem Ausdauertraining und HIIT interpersonell erheblich variiert, was letztlich keine verallgemeinernde Effektivität von HIIT und niedrigintensivem Ausdauertraining in der Praxis zulässt. Mögliche Gründe für die heterogene Responserate sind an andere Stelle kommentiert [20, 21]. Wichtig zu wissen ist, dass womöglich die Trainingshäufigkeit (und nicht die Intensität) eine entscheidende (wenn nicht sogar die wichtigste) Komponente für Trainingserfolge im Ausdauertraining darstellt [22].

Ob HIIT bzw. in welcher Form (kurze bzw. lange Intervalldauern, Intensität etc.) letztlich je nach Indikation Anwendung finden kann, hängt von der Motivationslage und der anfänglichen Funktionsfähigkeit beteiligter Organsysteme sowie dem Therapieziel ab. Erfahrungsgemäß (allerdings nicht bei jeder Person!) werden komplexe, unbekannte, schwere Übungsformen ungern und hinsichtlich eines langfristigen Ausdauertrainings evtl. nicht überdauernd durchgeführt bzw. können aufgrund mangelnder Grundfitness nicht durchgeführt werden. Selbiges gilt auch für z. B. ungewohnt langes niedrigintensives Ergometertraining.

▶Abb. 3 zeigt abstrakt mögliche Ausdauertrainingsformen in der Bewegungs- und Sporttherapie, die letztlich in ein HIIT münden können (aber je nach Indikation und Therapieziel nicht zwingend müssen!), sofern wesentliche „Grundfitness“ wie dauerhaftes Spaziergehen, Wandern, Radfahren etc. vom Patienten / in vorliegt.

Ob HIIT wirklich der Hit der möglichen Ausdauertrainingsvarianten darstellt, muss letztlich im Einzelfall entschieden werden. Die individuelle Responserate bzgl. der Veränderung der Sauerstoffaufnahme ist ähnlich heterogen wie die von niedrigintensivem Ausdauertraining. Die wesentlichen Vorteile im Vergleich zu niedrigintensivem Ausdauertraining liegen in der insgesamt kürzeren Trainingszeit bei ähnlicher Anpassung, dem Ausloten der körperlichen Leistungsfähigkeit und der geringeren Monotonie. Spannend bleibt die Anwendbarkeit und Nutzen von

HIIT-„Mikroeinheiten“ im Alltag [9, 23]. Inwiefern HIIT vor allem die Compliance fördert, müssen zukünftige Studien zeigen.

Billy Sperlich
Integrative & experimentelle Trainingswissenschaft
Institut für Sportwissenschaft
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Literatur beim Autor