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Inhalt

Wissenschaft

200 Bewegungstherapie bei nicht-heilbaren, fortgeschrittenen Krebserkrankungen – Eine Übersichtsarbeit mit einem Diskurs zum Thema Knochenmetastasen
Wiebke Jensen, Thorsten Schmidt

208 Entwicklung einer KI-gestützten Bewegungstherapie bei onkologischen Palliativpatienten – Eine Pilotstudie
Nico De Lazzari, Felix Wichum, Miriam Götte, Corinna David, Karsten Seid, Mitra Tewes

216 Sporttherapeutische Behandlungsmethoden nach einer Gehirnerschütterung
Michael Skibba,Jessica Reinhardt, Ingo Helmich

Journal Club

228 Dokumentationsqualität heimbasierter Krafttrainingsstudien mit Menschen mit nicht übertragbarer Erkrankung

Praxis

231 Physikalische Medizin als Teil der Palliativ-TeamVersorgung
Eva Maria Uher, Georg Heine, Judith Sauberer

235 Ein individualisiertes Bewegungsprogramm für kinderonkologische Patienten in palliativen Situationen mithilfe von Hausbesuchen
Ronja Beller, Gabriele Gauß, Dirk Reinhardt, Miriam Götte

241 Forum der Industrie

242 DVGS News

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

was hat denn Bewegungstherapie mit Palliativmedizin oder Hospizarbeit zu tun? Meinen die das ernst: Sport im Hospiz? Sollen jetzt selbst Schwerkranke in ihren letzten Lebenstagen noch aufs
Fahrradergometer gesetzt werden? Widersprechen sich hier nicht die Ansätze und die Ziele?

Die Palliativmedizin und Hospizarbeit verfolgen das Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit schweren, lebensbedrohlichen und nicht heilbaren Erkrankungen und ihren Angehörigen zu verbessern oder zu erhalten (S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, 2020). Dies kann eine Krebserkrankung sein oder eine fortgeschrittene, chronische Herz- und Lungenerkrankung oder neurologische Erkrankung, die in Tagen, Wochen, Monaten oder manchmal auch einigen Jahren zum Tode führt. Belastende Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Angst oder ausgeprägte Schwäche beeinträchtigen dabei die Lebensqualität und sollen durch eine bestmögliche Behandlung – medikamentös und/oder nicht-medikamentös – gelindert werden.

Auf den ersten Blick mag das Thema des vorliegenden Heftes „Bewegungstherapie und Palliativmedizin“ verwundern, ungewohnt sein oder vielleicht sogar befremden. Aber spätestens beim zweiten Blick fallen die vielen Gemeinsamkeiten auf und es wird schnell klar, warum in Zukunft diese beiden Bereiche und Professionen noch viel mehr zusammenarbeiten müssen als bisher schon – denn beide Bereiche ...

  • ...wollen die Lebensqualität verbessern bzw. erhalten;
  • ...zielen auf die Linderung von Symptomen wie Fatigue/Schwäche, Schmerzen, Angst u. a.;
  • ...haben das Ziel, die Selbstständigkeit, Aktivität und Teilhabe am normalen Leben der Betroffenen zu fördern;
  • ...arbeiten multiprofessionell und interdisziplinär und sind klassische Querschnittsbereiche, die sich in Fachdisziplinen wie u. a. Onkologie, Kardiologie, Neurologie integrieren und integriert werden;
  • ...legen für ihre Behandlungen und Interventionen wissenschaftliche Studien (Evidenzbasierung) und klinische Erfahrung zugrunde.

Bewegung, Kraft und Aktivität ist für uns Leben, am Leben teilhaben, das Leben spüren. Gerade für Menschen, bei denen die Kraft schwindet, der Bewegungsradius kleiner wird und die verbleibende Lebenszeit immer weniger wird, kann ein bisschen mehr an Kraft oder Aktivität sehr wohltuend sein oder das unterstützte Erleben der verbleibenden Kraft und Bewegung als pures Leben empfunden werden. Bei einer schweren und lebensbedrohlichen Krankheit hat jeder Mensch weiterhin ganz viele gesunde Anteile – diese zu spüren, ggf. zu trainieren und zu fördern, kann viel Lebensqualität bedeuten.

Erstaunlicherweise gibt es bisher nur wenige bewegungstherapeutische Angebote auf Palliativstationen oder in stationären Hospizen in Deutschland, ebenso wenige wissenschaftliche Studien. Im Ausland gibt es verschiedene, aber auch dort vergleichsweise wenige Initiativen und Angebote – aber immerhin gemeinsame Einrichtungen (Department bzw. Center) von palliative and supportive care, symptom control and rehabilitation, z. B. am MD Anderson Cancer Center in Houston/Texas (USA, Prof. Eduardo Bruera) oder Cicely Saunders Institute am King’s College Hospital in London (UK, Prof. Irene Higginson).

Im vorliegenden Heft werden in vier Beiträgen die Schnittstellen der Bewegungstherapie und der Palliativmedizin aus klinischer und wissenschaftlicher Sicht und Erfahrung behandelt:

Sauberer und Kollegen beschreibt die Praxis der Physikalischen Therapie in der Palliativmedizin, inkl. der Musiktherapie.

Beller und Kollegen lenken den Blick auf die Möglichkeiten und Herausforderung von Bewegungsprogrammen bei onkologisch erkrankten Kindern.

De Lazzari und Kollegen stellen eine erste, wissenschaftliche Untersuchung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei Bewegungstraining mit onkologischen Palliativpatienten vor.

Jensen und Schmidt geben eine Literaturübersicht zur Bewegungstherapie bei Patient*innen mit einer nicht-heilbaren, fortgeschrittenen Krebserkrankung unter besonderer Berücksichtigung von
Knochenmetastasen.

Diese vier Beiträge und das vorliegende Heft sollen dazu beitragen, dass die gemeinsame Arbeit von Bewegungstherapie und Palliativmedizin intensiviert und ausgebaut wird, um das Ziel der Verbesserung und Erhalt von Lebensqualität für immer mehr schwerkranken Menschen zu erreichen.

Hierbei soll die Geschichte aus dem St. Christopher‘s Hospice (der Geburtsstätte der Palliativmedizin und Hospizarbeit weltweit) und den Folgen bis hin zum Palliativzentrum in Köln (der ersten Palliativstation in Deutschland) Innovation und Ansporn sein: 2012 suchte man nach 40 Jahren Bestehen im Rahmen der Renovierung eine neue Aufgabe und Bestimmung für die alte Kapelle des Hospizes St. Christopher‘s. Hier entschied man sich, in dieser Kapelle ein Gym mit Sportgeräten einzurichten, in dem nun täglich Hospizbewohner und Hospizpatienten aus der Nachbarschaft trainieren und Sport betreiben. Von diesem zukunftsweisenden Schritt angeregt und überzeugt, wurde an der Uniklinik in Köln entschieden, von Beginn an ein Gym und eine Bewegungstherapie für den Neubau eines Hospiz- und Palliativzentrums mit stationären und ambulanten Angeboten für die Stadt Köln und Umland mitzudenken und zu implementieren.

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern durch die folgenden Beiträge viele Anregungen und neue Ideen und bedanken uns bei den Autoren sehr herzlich für ihre Arbeit.

Prof. Dr. Steffen Simon
Oberarzt am Zentrum für Palliativmedizin und Leitender Arzt des Palliativmedizinischen Dienstes (PMD), Uniklinik Köln

Prof. Dr. Freerk Baumann
AG Onkologische Bewegungsmedizin, Centrum für Integrierte Onkologie (CIO), Uniklinik Köln