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Inhalt

141 Editorial
Hubertus Deimel

Wissenschaft

145 Patient Reported Outcomes
Hubertus Deimel, Chloé Chermette

154 Kann körperliche Aktivität durch eine Verbesserung des Selbstwertes aggressive Gefühle reduzieren?
Chloé Chermette, Fabian Pels

160 Einflussfaktoren für die Teilnahme an Sporttherapie in der psychiatrischen Versorgung
Katrin Friedrich, Julia Krieger, Vanessa Rößner-Ruff, Marcel Wendt, Marc Ziegenbein

Praxis

166 Motivationale und Volitionale Kurzintervention zur Steigerung der körperlichen Aktivität in der Entwöhnungsbehandlung von Abhängigkeitserkrankten (MoVo-EvA)
Chloé Chermette, Sophia Krumpen, Sabrina von Au

172 Mehr Beziehungs- und Motivationsarbeit wagen!
Esther Sophia Giesen

Journal Club

177 Jeder Schritt zählt – Sterblichkeit und objektiv erhobene Schrittzahl
Maximilian Köppel

Neues von peb

178. Halbzeit bei GeMuKi

180. Forum der Industrie

181. DVGS News

184. Veranstaltungen

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

zum Abschluss meiner langjährigen Tätigkeit im wissenschaftlichen Beirat dieser Zeitschrift habe ich noch einmal gern die Planung und Betreuung dieses Schwerpunktheftes zur Bewegungstherapie in der Psychiatrie, Psychosomatik und Suchtbehandlung übernommen. Was Sie allerdings in dieser Ausgabe nicht erwarten dürfen: eine hochaktuelle RCT-Studie, eine weitere Metaanalyse, ein systematisches Review oder gar eine raffiniert angelegte Doppelblindstudie. Als Vertreter einer strengen methodologisch orientierten Sichtweise einer evidenzbasierten Medizin (EbM) mit der Bevorzugung externer Evidenz können Sie also dieses Heft rasch beiseitelegen; da erfahren Sie nichts Neues! Allerdings bestehen deren Hauptaussagen – bezogen auf die Wirkung von bewegungstherapeutischen Interventionen bei psychischen Erkrankungen – grob vereinfachend darin, dass Ausdauer- und Krafttraining im stationären Setting nicht schaden und zudem wirksam sind für körperliche Verbesserungen, was nicht wirklich überraschen kann. Im Hinblick auf das Wesentliche psychischer Erkrankungen, nämlich weitergehende Wirkungen des Trainings auf die Psyche bzw. auf die psychosozialen Bedingungen, besteht allerdings mehr Unklarheit als Klarheit oder wurden erst gar nicht mit einbezogen. Training und Trainingswirkungen werden deshalb z. T. mit einer ähnlichen Vorstellung wie ein pharmakologisches Medikament labormäßig untersucht und bewertet. Diese funktionelle Vorgehensweise hat zweifellos ihre Berechtigung. Inwieweit derartige Trainingsprogramme jedoch zur Entwicklung eines gesundheitsbezogenen aktiven Lebensstils über den Klinikaufenthalt hinaus beitragen bei einer Klientel, die überwiegend nicht über eine diesbezügliche Einstellung verfügt, darf mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Und in der Praxis tätige Bewegungstherapeuten wissen, dass viele Patientinnen und Patienten mehr brauchen als ein alleiniges evidenzgestütztes Ausdauer- und Krafttraining. Zudem werden mit einer derartigen Reduzierung der Bewegungs- und Sporttherapie auf funktionelles körperliches Training weitergehende Aufgaben und Zielsetzungen ausgeklammert; beispielsweise sind hier exemplarisch die Vermittlung bewegungs- und gesundheitsbezogener Kompetenzen oder die Verbesserung sozialer Kompetenzen zur gesellschaftlichen Integration zu nennen. Nun werden bei der Evidenzbeurteilung der bewegungstherapeutischen Interventionen bei psychischen Erkrankungen allerdings ausschließlich Studien mit dem oben genannten Designkriterien herangezogen. Zur Bestätigung dieser Aussage braucht man sich nur die verwendeten Literaturangaben bei den verschiedenen Leitlinien oder den Reha- Therapiestandards anzuschauen, die fast ausschließlich den englischsprachigen Recherchesystemen (Cochrane; PubMed. u. a. ) entnommen sind. Insofern wundert es nicht, dass die Evidenz der Bewegungstherapie aus der Sicht externer Evidenzbasierung eher bescheiden ausfällt, also zweitklassig („kann oder sollte“ als Empfehlungsgrad), da andere Facetten oder Perspektiven ausgeklammert werden, die durchaus zum Beleg ihrer Wirksamkeit beitragen können.

Mit den vorliegenden Beiträgen möchte ich an dieser Stelle die Bedeutung der internen Evidenzbasierung betonen. Diese dient einerseits zur Relativierung der Ergebnisse und Erkenntnisse der externen Evidenzbasierung, andererseits zu ihrer Ergänzung und Erweiterung. Ursprünglich war ihre Einbeziehung auch von Sackett, einem maßgeblichen Begründer der EbM, gefordert, ist aber zumindest im deutschsprachigen Raum später sehr vernachlässigt worden. So können die Publikationen dieses Heftes z. B. zur Patientenbefragung bezüglich der Akzeptanz bewegungstherapeutischer Maßnahmen, Experteninterviews oder Maßnahmen zum erleichterten Einstieg in die Bewegungstherapie mit zu einer erweiterten Sichtweise beitragen, indem solche Kriterien der internen Evidenzbasierung näher untersucht werden. Als Begründung für die Stärkung dieser Sichtweise möchte ich dabei den Nestor der deutschen Rehabilitation und meinen Doktorvater Professor Dr. med. K.-A. Jochheim zitieren, der schon im Jahr 1972 im Jahrbuch der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter feststellte: „Rehabilitation ist stets eine ärztlichpädagogische Gemeinschaftsaufgabe.“

Er betonte damit ausdrücklich, dass neben funktionellen Verbesserungen zusätzliche Zielsetzungen in der Therapie und Rehabilitation umzusetzen sind, beispielsweise die Notwendigkeit zur Motivierung und nachhaltigen Aufrechterhaltung eines aktiven gesundheitsbezogenen Lebensstils. Dazu bedarf es mehr als nur die „medizinische Verordnung eines funktionellen Trainings und die Delegation dieser Aufgabe an weisungsgebundene Helfer“ (Jochheim 1972, S. 139)! Solch pädagogisch höchst anspruchsvolle Aufgaben bestehen u. a. aus der Herstellung guter, unterstützender Beziehungen, eines positiven Gruppenklimas, dem freudvollen Erleben von unterschiedlichen und adressatengerechten Bewegungs- und Spielaktivitäten sowie in der Anbahnung von Partizipationsmöglichkeiten auf der Wohnortebene. Erst unter diesen Bedingungen ist zudem eine hinreichende Akzeptanz der Behandlungsmaßnahmen zu erwarten, ohne die keine Veränderungen im psychosozialen Verhalten und Handeln zu erreichen sind. Der pädagogische Auftrag darf deshalb bei der wissenschaftlichen Forschung in diesem Feld nicht außen vorgelassen werden, sondern muss im Hinblick auf Evaluationsstudien viel stärker mitbedacht werden. Dies verlangt jedoch Untersuchungsdesigns, die über die derzeitigen Modelle der externen Evidenzbasierung hinausgehen. Die vorgestellten Studien und Konzepte dieses Heftes zeigen möglicherweise Wege auf, in welche Richtung sich zukünftig die Evaluation der Bewegungstherapie bei psychischen Erkrankungen vermehrt bewegen sollte. Ich hoffe, dass diese Beiträge Sie ermuntern, sich die vielfältigen Sichtweisen auf und Einsatzmöglichkeiten von Bewegungsaktivitäten mit psychisch kranken Menschen zu bewahren und zu erforschen.

Ihnen, meine Leserinnen und Leser, wünsche ich abschließend auch in diesen unsicheren Zeiten weiterhin viel Gesundheit, Optimismus und Gelassenheit.

Ihr Hubertus Deimel

Mit diesem Editorial und der Betreuung der vorliegenden Ausgabe verabschiedet sich Dr. Hubertus Deimel vom Wissenschaftlichen Beirat der B&G, dem er seit seiner Gründung angehörte. Die Herausgeber, die Redaktion, die Schriftleitung sowie der Verlag sagen ihm dafür ganz herzlichen Dank!

Wer mehr über das Wirken von Hubertus Deimel wissen möchte, sei auf die Laudatio zu seinem 70. Geburtstag in Ausgabe 6/2019 der B&G verwiesen.
Das Team der B&G Editorial Thi